Jascha Fibich

Der WILDE WESTEN im Osten

Im Hobby zeigen sich unsere wahre Hingabe und Leidenschaft. So äußert sich die Begeisterung für die Lebensweise und Kulturen der indigenen Bevölkerung Amerikas seit jeher nicht nur in ethnologischer Beschäftigung, sondern auch klischeehafter Adaption oder freier Nachempfindung. Von der staatlichen Politik mit Argwohn betrachtet, entfalteten in der DDR zahlreiche Interessensgemeinschaften für Indianistik ein Eigenleben. Nach 1990 hat sich die Szene stärker ausdifferenziert.
Mit dem Projekt „Der WILDE WESTEN im Osten“ gehe ich auf fotografische Spurensuche im Osten Deutschlands und treffe auf Menschen aus der Indianistik-Szene. In den entstandenen Bildern und Interviews wird die starke Faszination derer, die sich mit den indigenen Kulturen Amerikas beschäftigen sichtbar. Gleichzeitig zeigt das Projekt Kontroversen auf, die durch die Nachahmungsversuche entstehen und fragt, was wir als „authentisch“ empfinden.

Der WILDE WESTEN im Osten @ Kunstfest Weimar
Der WILDE WESTEN im Osten @ Leica Fotografie International
Der WILDE WESTEN im Osten @ DUMMY Magazin

'Indian Week'

Die ‚Indian Week‘ ist ein einwöchiges Treffen aller deutschen Indianistik Gruppen. Dieses basiert auf der indigenen Tradition von Sommerlagern, bei denen sich befreundete Stämme und Familien wiedergesehen und ausgetauscht, ihre Toten beklagt oder versöhnt haben. Es wird jährlich seit 1973 ausgerichtet und findet in einer ländlichen Region in Ostdeutschland statt. Heutzutage versammeln sich zwischen 400 und 800 Menschen mit bis zu 300 Tipis. Eine Woche lang wird das Leben der indigenen Bevölkerung Nordamerikas im 19. Jahrhundert nachempfunden, ähnlich wie bei einem großen Familientreffen nach langer Zeit. Die Indianist:innen verkörpern in Kleidung, Lebensweise und Musik unterschiedliche indigene Stämme Nordamerikas: sie kochen überm Feuer, Singen und Tanzen in die Nacht hinein, beschäftigen sich mit Handarbeiten, handeln authentische Materialien und tauschen sich über das vergangene Jahr aus.

„Die Darstellung und Verkörperung von romantisierten Indianern in der westlichen Kultur entspringt immer einer Art von Machtstruktur, mit den Beziehungen und Wahrnehmungen, die sie produziert. Egal, ob die Darstellungen, die geschaffen werden, negativ oder positiv sind, es gibt immer noch eine implizite Vorstellung einer linearen Hierarchie der Kulturen und Völker und ein Gefühl des Anspruchs und der „Zentralität“ der europäischen Kultur. [...]
Aneignung ist meiner Meinung nach selten das Hauptthema. Es klingt wie eine harte Regel, eine Grenze, die man nicht überschreiten darf, ohne klare Gründe dafür. Die Motivationen oder Konsequenzen der Aneignung haben aber eine höhere Bedeutung: Entscheidend ist die „Denkweise“, die sie überhaupt erst ermöglicht. Es geht oft um Ausbeutung, in der Kunst und im Marketing. Nicht so sehr hier, wo es eher eine reine Fantasie ist. [...] Die interessante Frage, so scheint es, wäre das „Warum?“, und ein Teil der Antwort muss in der deutschen Kultur liegen.“

Nicolas Renaud
Angehöriger der Huron-Wendat First Nation of Wendake, Filmemacher, Künstler und Dozent für First Peoples Studies an der Concordia University, Montréal

„Ich habe einige Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass die Indianist:innen nicht wie die weißen Amerikaner:innen sind. Sie wollen Teil des indianischen Lebens sein. Sie wissen, dass sie keine Lakota sind. Sie wissen, dass sie deutsch und weiß sind, aber sie haben Empathie, Mitgefühl und geben ihr Bestes, die Native Americans zu verstehen. Sie tun dies mit Respekt und seit ich das weiß, bin ich damit einverstanden.“

Wayne Whitewing
Angehöriger der Lakota, lebt in Deutschland